Der Glaube verbat es ihm, Waffendienst zu leisten.

Hermann Fertin

Geburtsdatum 23.6.1894
Geburtsort Klagenfurt
Todesdatum 15.1.1942
Todesort KZ Dachau

Der Tapezierer Hermann Fertin wandte sich Anfang der 1930er Jahre der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas zu. Am 11. Juni 1931 trat er aus der röm.-kath. Kirche aus. Er lebte zu diesem Zeitpunkt am Iselsberg in Osttirol, später in Thal. Hermann Fertin war seit 1927 mit der Witwe Seraphine Weber liiert und sorgte für sie und ihre Tochter Erika Rohr.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten veränderte sich die Situation für die Zeugen Jehovas dramatisch. Aufgrund ihrer kompromisslosen Haltung gegenüber dem NS-Staat gerieten sie unter starken Verfolgungsdruck. Am folgenschwersten war ihre Weigerung, Wehr- und Kriegsdienst zu leisten. Nach Ansicht der Zeugen Jehovas widersprach der Dienst mit der Waffe dem biblischen Gebot: „Du sollst nicht morden.“

Im Herbst 1938 berief die Wehrmacht in der „Ostmark“ erstmals wehrpflichtige Männer zu Übungen ein, die bereits Dienst im österreichischen Bundesheer geleistet hatten. Hermann Fertin war 1938 einer dieser Wehrpflichtigen des Beurlaubtenstandes. Am 30. Oktober 1938, also knapp ein Jahr vor Kriegsbeginn, wurde er zu einer zweiwöchigen Übung nach Völkermarkt beordert. Doch er folgte der Einberufung nur, um den Wehrdienst in der Kaserne offen zu verweigern.

Die Konsequenz war ein Verfahren vor dem Militärgericht der 3. Gebirgsdivision. In der Anklageschrift heißt es: „Als bald nach dem Einrücken befohlen wurde, die Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände zu empfangen, ging der Beschuldigte zu seinem Zugführer und meldete ihm, es sei ihm nicht möglich, sich einkleiden zu lassen, sein Glaube verbiete ihm, Waffendienst zu leisten.“ Hermann Fertin wiederholte die Verweigerung drei Mal, dann er wurde er festgenommen und in das Landesgericht Klagenfurt überführt. Dort berief der Gerichtsherr der 3. Gebirgsdivision, Generalmajor Eduard Dietl, am 4. November 1938 ein Kriegsgericht ein.

Die Anklage lautete: „Der Beschuldigte hat in der Absicht, sich seiner Verpflichtung zum Wehrdienst ganz zu entziehen, den Gehorsam durch Wort und Tat verweigert und auf wiederholt erhaltenem Befehl im Ungehorsam beharrt. Er wird daher auf Grund des §§ 95 des Wehrmachtsstrafgesetzbuches zu bestrafen sein.“ Das Divisionsgericht sprach eine noch vergleichsweise milde Strafe aus. Hermann Fertin erhielt sechs Monate Kerker wegen Gehorsamsverweigerung. Er verschwand bis 4. Mai 1939 in einem Gefängnis in Graz.

Seine Lebensgefährtin Seraphine Weber lebte mit ihrer Tochter zu diesem Zeitpunkt in Oberdrauburg und war als Köchin beschäftigt. Nach der Haftentlassung kehrte Hermann Fertin zu seiner Familie zurück. Doch seine Freiheit währte nur kurz. Die Gestapo hatte sich den Zeugen Jehovas bereits vorgemerkt. Die Glaubensauffassungen der Zeugen Jehovas widersprachen der Ideologie des Nationalsozialismus fundamental. Sie lehnten den Rassismus und Antisemitismus der Nazis ab, sie lehnten die Rede vom „Tausendjährigen Reich“ ab, sie erkannten Hilter nicht als oberste Autorität an und lehnten den „Hitlergruß“ ab, sie enthielten sich politischer Angelegenheiten und versperrten sich daher den Organisationsversuchen und der Gleichschaltung der „Volksgemeinschaft“. Den Nazis galten sie aus diesen Gründen als „staatsfeindlich“ und politisch unzuverlässig. Am 13. September 1939 nahmen Lienzer Gestapobeamte Hermann Fertin fest, und schon fünf Tage später wurde er an die Gestapostelle in Klagenfurt weitergereicht. Zu einem Gerichtsverfahren kam es nicht – Hermann Fertin wurde als „Staatsfeind“ in „Schutzhaft“ genommen.

Mehr als ein Jahr lang, bis zum 1. November 1940, hielt die Gestapo Hermann Fertin in ihrem Gefängnis in Klagenfurt fest. Nach Angaben seiner Lebensgefährtin Seraphine Weber wurde er häufig verhört. Die Gestapo legte ihm auch zur Last, bereits vor seiner ersten Verhaftung die Beteiligung an einer Wahl verweigert zu haben. Damit konnte nur Hitlers „Volksabstimmung“ vom 10. April 1938 über den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich gemeint gewesen sein. Die Gestapo versuchte zudem, Zeugen Jehovas zur Unterzeichnung eines „Reverses“ zu bringen. Mit dieser Verpflichtungserklärung zur Treue gegenüber dem NS-Staat konnte die „Schutzhaft“ beendet werden. Hermann Fertin blieb, wie viele seiner Glaubensbrüder, standhaft.

Anfang November 1940 wurde Hermann Fertin in das KZ Dachau deportiert. Als er am 4. November 1940 durch das Tor des Lagers geführt wurde, war er 46 Jahre alt. Die SS gab ihm die Häftlings-Nr. 21113 und verpasste ihm als Zeichen für seine Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas einen violetten Winkel auf die grau-blau gestreifte Häftlingskleidung. Nur zweieinhalb Monate später wurde die Nummer in der Häftlingskartei gestrichen: Hermann Fertin starb am 15. Jänner 1941 im KZ Dachau. Über die genauen Todesumstände ist nichts bekannt.

Seraphine Weber suchte 1946 beim Land Kärnten um „Wiedergutmachung“ an. Der ablehnende Spruch der Landeshauptmannschaft Kärnten liest sich so: „Hermann Fertin ist nicht wegen seiner politischen Einstellung oder Betätigung zu Schaden gekommen, sondern weil er aus religiösen Gründen den Waffendienst verweigert hat. Es fehlt daher die Voraussetzung aus Punkt 1 (rückhaltloser Einsatz für ein unabhängiges Österreich).“ Die Witwe des katholischen Kriegsdienstverweigerers Franz Jägerstätter, der im Jahr 2007 von der katholischen Kirche selig gesprochen werden sollte, machte im Jahr 1948 dieselbe Erfahrung.

Quellen

Archiv der KZ-Gedenkstatte Dachau (6.2.2004); KLA KLAR-4 36532/47/19; Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas Österreich/Dossier Hermann Fertin, JZ-Ö/Ga; August Walzl, Gegen den Nationalsozialismus, 1994, S. 240

Literatur

Gerti Malle: Widerstand und Verfolgung der ZeugInnen Jehovas in der Ns-Zeit in Karnten, [ PDF ] Gerti Malle: Karntens vergessene Opfer, [ PDF ] Thomas Walter: Standhaft bis in den Tod. Die Zeugen Jehovas und die NS-Militargerichtsbarkeit, in: Walter Manoschek (Hg.): Opfer der Militarjustiz, Wien 2003, 342-357