Die Rechtsstaatlichkeit muss für alle gelten.

Ida Mittinger

Geburtsdatum 22.8.1895
Geburtsort Wöllan/Velenje
Todesdatum 24.9.1940
Todesort Schloss Hartheim

Am 26. August 1937 erschütterte ein dramatischer Kriminalfall die Bevölkerung von Dellach im Drautal. Die Witwe des Oberlehrers Rudolf Mittinger, Ida, brachte um 4.30 Uhr in einem Dorfgasthaus ihre zehnjährige Tochter Erna und ihren zwölfjährigen Sohn Max im Schlaf durch Schnitte in den Hals um. Sie war mit ihren Kindern nach einem Erholungsaufenthalt am Wörthersee auf einige Tage in ihre Heimatgemeinde Dellach gekommen, wo ihr zweiter Sohn, der elfjährige Rudolf, bei Bekannten die Sommerferien verbrachte. Die Familie lebte seit dem frühen Tod des Vaters im Jahr 1936 bei der Schwester von Ida Mittinger in Warmbad bei Villach.

Nachdem Ida Mittinger ihre Kinder Erna und Max getötet hatte, suchte die 42-jährige Frau noch in der Nacht das Wohnhaus auf, in dem Rudolf nächtigte, um auch ihn zu töten. Sie fügte dem schlafenden Buben einen Schnitt am Hals zu. Aus dem Schlaf aufgeschreckt, konnte der Bub seiner Mutter gerade noch entkommen.

Die Ereignisse sind in der Chronik des Gendarmeriepostens Dellach ausführlich geschildert. Nach dem Mordversuch an dem kleinen Rudolf sperrte sich Ida Mittinger auf der Toilette ein und versuchte sich selbst zu töten. Die Frau wurde überwältigt und schließlich von der Gendarmerie festgenommen. Rudolf wurde in das Krankenhaus Lienz eingeliefert und überlebte.

Die Gendarmen vernahmen Ida Mittinger, wie in der Chronik der Gendarmerie zu lesen ist: „Bei Vernehmung über das Motiv der Tat gab die Mittinger sogleich an, dass sie in Mordabsicht gehandelt habe und diesen Entschluss schon seit zirka drei Jahren in sich getragen hat. Sie ist angeblich mit einer unheilbaren Krankheit behaftet und fürchtete, dass diese Krankheit auch bei den Kindern auftreten könnte. Ihr Mann Rudolf starb schon am 28.5.1936. Trotzdem Ida Mittinger vermutlich zirka 350 S Pension hatte, geriet sie infolge ihrer schlechten Hauswirtschaftsführung in Schulden und glaubte die Kinder nicht entsprechend erziehen zu können.“

Ida Mittinger wurde an das Landesgericht Klagenfurt überstellt. Nach der Untersuchung ihres Geistes- und Gesundheitszustandes brach der Richter das Gerichtsverfahren gegen sie ab. Sie wurde stattdessen mit dem Vermerk „geisteskrank und gemeingefährlich“ in die Irrenanstalt Klagenfurt eingewiesen. Nach erfolgter Genesung sollte sie nicht entlassen, sondern wieder der Polizei vorgeführt werden.

Dem Datenblatt ihres Krankenaktes ist zu entnehmen, dass Ida Mittinger in Wöllau im Bezirk Cilli in Slowenien geboren wurde, über ein Einkommen von 200 Schilling monatlich verfügte und im Depressionszustand ihre zwei Kinder getötet habe. Ansonsten ist am Deckel des Aktes nur mehr das Datum ihres Abtransportes in die Vernichtungsanstalt Hartheim zu entziffern. Dieser erfolgte am 25. August 1940.

Rudolf Mittinger wurde von der Familie seines Onkels in Althofen aufgenommen und wuchs dort behütet auf. Seine Mutter hat Rudolf Mittinger in positiver Erinnerung, auch wenn ihre Tat für ihn letztlich unerklärbar bleibt. Er vermutet heute, dass seine Mutter nach der Übersiedlung nach Villach in wirtschaftliche Not geraten und darüber verzweifelt ist. An die Zeit nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus erinnert sich Rudolf: „Ich habe abends im Bett oft geweint. Ich hatte Heimweh nach meiner Familie, nach meinen Geschwistern, nach dem Warmbad in Villach und nach Dellach.“

Vom Tod der Mutter erfuhr er im September 1940. Die Todeserklärung aus Hartheim hat er aufbewahrt. Wie bei allen Patientenmorden wurde die wahre Todesursache durch Vergasung verschleiert. Dem Dokument zufolge starb Ida Mittinger am 24. September 1940 an septischer Angina eines natürlichen Todes.

Wer war Ida Mittinger? Ida Mittinger stammte aus einer deutschsprachigen Familie, die in Oberkrain lebte. Ihr Vater war Lokomotivführer. Er achtete auf die künstlerische Ausbildung seiner Kinder. Ida Mittinger erlernte früh das Klavierspiel und wurde auf hohem Niveau in Maribor und Graz zur Konzertpianistin ausgebildet. Ihr Bruder, Rudolf Derka, erlangte in seinem Beruf als Magier Weltruhm. Ihre Schwester wurde Tanzlehrerin.

In Graz verkehrte die junge Ida Mittinger in Künstlerkreisen, unter anderem pflegte sie engen Kontakt zu dem bekannten Dirigenten Karl Böhm. Durch die Heirat und die Übersiedlung nach Dellach in den frühen 1920er Jahren wurde sie aus diesen künstlerischen Zusammenhängen herausgerissen, pflegte ihr Klavierspiel aber weiter und ließ auch ihre Kinder Instrumente lernen.

Wie Rudolf Mittinger berichtet, hat sie körperliche Arbeit abgelehnt. Dabei sollte es auch bleiben, als sie in der „Irrenanstalt“ dazu angehalten wurde. Ida Mittinger war am politischen Geschehen in den 1930er Jahren interessiert, sie unterstütze in Dellach/Drau nach Angaben ihres Sohnes die Nationalsozialisten.

Wie ist die Tat von Ida Mittinger zu erklären?
 

Die Psychologie kennt das Phänomen des „Mitnahmesuizids“ bzw. „erweiterten Suizids“. Darunter ist eine zwar relative seltene, aber besonders erschütternde Sonderform der Selbsttötung zu verstehen, bei der eines oder mehrere Opfer mit in den Tod gezogen werden. Oft handelt es sich um verheiratete Mütter zwischen 30 und 40 Jahren mit einer schweren Depression, die in einer krankheitsbedingten Trostlosigkeit ihre meist minderjährigen Kinder „erlösen“ wollen.

 

Anmerkung zum Foto: Ida Mittinger (r.), ihr Mann Rudolf (m.) und die drei Kinder Max (l.), Erna (m.) und Rudolf (r.).


Quellen

Chronik des GP Dellach/Drau DÖW 17858/3; Archiv des Zentrums für seelische Gesundheit in Klagenfurt, Krankenakten; Mitteilung Gedenkstätte Schloss Hartheim; Interview mit Rudolf Mittinger 27. Mai 2005, Briefe von Rudolf Mittinger an P.P.; KLA LGK Vg Vr 907/45 (Prozess gegen Dr. Niedermoser)