Die Kleindarsteller in Ihrem Film, Frau Riefenstahl, Hut ab! Hut ab, Film ab, Kopf ab.

Josefine Blach

Geburtsdatum 28.11.1932
Geburtsort Greifenburg
Todesdatum 29.12.1943
Todesort KZ Auschwitz

Mit einer Anmerkung zu ihrem Greifenburger Taufpfarrer Dr. Anton Koperek

Das Auge streift über die Seiten des Geburts- und Taufbuches der Pfarre Greifenburg. Bei manchen der handschriftlichen Eintragungen bleibt es hängen, so bei dieser: „† 29.12.1943 um 9.30 Uhr in Auschwitz (Standesamt Arolsen, Abteilung Auschwitz Nr. 210/1965 vom 4. Mai 1994)“. Diese Todesnachricht wurde in der Folie 132, Zeile 22, hinzugefügt, genau dort, wo mehr als 50 Jahre vorher, am 29. November 1932, die Geburt von Josefine Blach verzeichnet worden war. Aus den Eintragungen ist nur wenig über die Identität des Mädchens zu erfahren. Der Name des Vaters wurde von der Mutter nicht bekannt gegeben: Das entsprechende Feld ist leer. Die Mutter von Josefine hieß Klara Blach, und sie war als eheliche Tochter des Johann Blach, von Beruf Hausierer, im Jahr 1915 in St. Gallen in der Schweiz zur Welt gekommen. Klara Blach war 17 Jahre alt, als sie ihre Tochter in Greifenburg entband.

Viel mehr konnte zunächst nicht über das Mädchen herausgefunden werden. Die Familie Blach gehörte aller Wahrscheinlichkeit nach zu jenen Sinti, die bis 1938 in den äußeren Stadtgebieten von Villach lebten und von dort aus ihre Kreise zogen. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verhaftete die Kriminalpolizei in Villach bei mehreren „Aktionen“ an die 100 Personen dieser Volksgruppe und deportierte sie in verschiedene „Zigeunerlager“. Die kleine Josefine Blach fand sich in einem Arbeitslager im Salzburger Stadtteil Maxglan wieder. Die „Zigeunerlager“ waren meist nur provisorisch eingerichtet, sie waren Durchgangslager, in denen die Menschen zwar Zwangsarbeit verrichten mussten, aber ihr eigentlicher Zweck war die Sammlung für die weitere Verbringung in KZ- und Vernichtungslager, wo die meisten der Sinti und Roma zu Tode gebracht wurden, sei es durch Hunger und Krankheiten, sei es durch Erstickung in Gaskammern.

Doch Millionen Menschen haben Josefine Blach noch leben sehen, noch Jahrzehnte nach ihrer Ermordung in Auschwitz. Ein aufmerksamer Dellacher machte diese Entdeckung, als er im Dezember 2005 eine Dokumentation des deutschen Senders ZDF über die deutsche Filmregisseurin Leni Riefenstahl sah. Riefenstahl produzierte in den 1930er und 1940er Jahren unter anderem äußerst wirkungsvolle Propagandafilme für das NS-Regime. Die Künstlerin stand in der persönlichen Gunst Adolf Hitlers. (Nach dem Untergang des Dritten Reiches sollte sie jegliche Komplizenschaft mit den NS-Machthabern abstreiten.) 

Im Jahr 1940 drehte Riefenstahl den Film Tiefland. Schauplatz des Streifens war Spanien, Drehort jedoch Bayern. Riefenstahl benötigte dunkelhäutige Komparsen – im Deutschen Reich nicht leicht aufzutreiben. Die rettende Idee: Roma und Sinti, die bereits in verschiedenen Lagern interniert waren, sollten die spanische Bevölkerung mimen. So suchte Riefenstahl auch im Arbeitslager Maxglan nach geeigneten Statisten. Das Mädchen Josefine Blach erfüllte die „ästhetischen“ Kriterien Riefenstahls und wurde für die Dreharbeiten herangezogen.

Woher wir das wissen? Dem besagten aufmerksamen Mann aus Dellach fiel bei einer Szene der ZDF-Dokumentation über Riefenstahl der Geburtsort Greifenburg ins Auge, als die Kamera über ein Dokument des Arbeitsamtes Salzburg aus dem Jahr 1940 streifte, das „Zigeuner“ aus dem Arbeitslager Maxglan auflistete, die an Riefenstahl „vermittelt“ worden waren. Die Angaben auf dieser Liste stimmen mit den Informationen zu Josefine Blach aus dem Geburtsbuch der Pfarre Greifenburg überein. Für kurze Zeit durfte das damals neunjährige Kind also auf eine bessere Zeit hoffen, denn während der Dreharbeiten in Bayern gab es anders als in Maxglan genug zu essen und außerdem viel Neues zu sehen. Paradiesisch sei es gewesen, berichtete Jahrzehnte später eine der Statistinnen, die den Nationalsozialismus im KZ Ravensbrück ausnahmsweise überlebt hatte. Doch die Filmszenen waren bald abgedreht. Die Hautfarbe der Kinder und Jugendlichen hatte ihre Schuldigkeit getan. Nun war sie wieder Ausweis dafür, „Zigeuner“ zu sein und als „Zigeunerin“ war Josefine in den Augen und in der Sprache der Nationalsozialisten („Plage“, „Fremdrassige“, „asoziales Gesindel“, „Störenfriede“) ihres Lebens nicht wert. Riefenstahl ließ Josefine und die anderen Sinti und Roma in das Arbeitslager Maxglan zurück transportieren.

Im Frühjahr 1943 wurden 300 der Sinti und Roma im Lager Maxglan nach Auschwitz deportiert, nachdem SS-Führer Heinrich Himmler im Dezember 1942 befohlen hatte, alle noch im Reichsgebiet und in den besetzten Ländern Europas lebenden „Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft (...) in ein Konzentrationslager einzuweisen.“

In Auschwitz war Ende 1942 bereits ein „Zigeunerlager“ eingerichtet worden. Die Gefangenen starben dort überwiegend an Unterernährung, Seuchen, Misshandlungen oder an medizinischen Versuchen, die an ihnen durchgeführt wurden. Allein in Auschwitz brachte die SS auf diese und andere Arten (Vergasungen) 17.000 Sinti und Roma um ihr Leben. Insgesamt fielen dem rassistischen Vernichtungswahn mehr als 500.000 Sinti und Roma zum Opfer, unter ihnen 25.000, die aus Österreich stammten, von denen etwa 100 ab 1938 in Villach verhaftet wurden. Unbekannt ist bisher, wo Josefine Blach mit ihren Verwandten festgenommen worden ist, an welchem Ort sie der Kriminalpolizei in die Hände gefallen und von ihr in den Lagerkosmos weitergereicht worden ist. Wo und wann muss hier offen bleiben. Denn die Deportation der Kärntner Sinti und Roma ist ein schwarzer Fleck im Gedächtnis des Landes geblieben. Hier ist kaum etwas aufgehellt worden. Was wir aufgrund von Aufzeichnungen im KZ Auschwitz wissen: Josefine Blach starb am 29. Dezember 1943. Sie ist elf Jahre alt geworden.

Ein Gericht sprach 1949 Leni Riefenstahl vom Vorwurf frei, für ihren Film Tiefland 60 junge Sinti und Roma als Komparsen zwangsrekrutiert, sie weder entlohnt, noch – wie ursprünglich versprochen – vor der Deportation nach Auschwitz gerettet zu haben. 1982 wurden diese Anschuldigung neuerlich erhoben. Nun konnte Riefenstahl sie nicht mehr abstreiten. Die Forschungen von Historikern hatten die Vorwürfe bestätigt. Riefenstahl beteuerte jedoch weiterhin, sie habe alle Zigeuner, die in ihrem Film Tiefland mitgewirkt haben, nach Kriegsende wieder gesehen. Der Kölner Verein „Rom“ erstattete im Jahr 2002 Anzeige wegen dieser Behauptung. Das Verfahren wurde zwar eingestellt, Riefenstahl musste jedoch eine Erklärung unterschreiben, diese Behauptung künftig zu unterlassen. Historische Forschungen haben nachgewiesen, dass die meisten der Roma und Sinti, die Riefenstahl persönlich in Maxglan für ihren Film ausgesucht hatte, nach den Dreharbeiten deportiert und ermordet worden sind.

Der Geistliche, der Josefine Blach in Greifenburg getauft hatte, war Dr. Anton Koperek. Auch er sollte an der Gewalt des NS-Regimes zu Grunde gehen. Nach 1938 war Anton Koperek Pfarrer in Kreuzen bei Paternion. Er wandte sich dort öffentlich gegen die weithin bekannt gewordene Ermordung von Behinderten und Kranken („Euthanasie“) und kritisierte die Vertreibung der Kärntner Slowenen. Vor allem aber weigerte er sich, die rassistische Behandlung polnischer Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen mitzutragen. Er sprach mit ihnen und er lud sie in seine Kirche ein. Daraufhin wurde er von Einheimischen denunziert und von der lokalen Gendarmerie verhaftet. Die Gestapo deportierte ihn am 13. Juli 1942 als „Schutzhäftling“ in das KZ Dachau. Er überlebte nur vier Monate. Am 10. November 1942 starb Anton Koperek im KZ Dachau.

Siehe auch Hilda Link

Anmerkung zum Foto: Häftlinge im "Zigeunerlager" Salzburg-Maxglan, 1939.

Quellen

Geburts- und Taufmatriken Pfarre Greifenburg, Archiv der Diözese Klagenfurt; Mitteilung Gedenkstatte und Museum Auschwitz, 18.11.2005; "Hitlers Frauen: Leni Riefenstahl - Die Regisseurin", 2001, Dokumentation von Guido Knopp ZDF.

Literatur

Claudia Lenssen: Die Ästhetin des Bösen, Financial Times Deutschland, 10.09.2003, S. 35; Salzburger Nachrichten, 23.8.2002, S. 10; Neue Zürcher Zeitung, 17.08.2002, S. 3; Erika Thurner: Nationalsozialismus und Zigeuner in Österreich, Wien-Salzburg 1983 Enzyklopadie des Nationalsozialismus (hrsg. von Wolfgang Benz u.a.), München 1997; Biographisches Lexikon zum Dritten Reich (hrsg. von Hermann Weiß), Frankfurt/Main 2002. Mongo Stojka: Papierene Kinder. Glück, Zerstörung und Neubeginn einer Roma-Familie in Österreich, Wien 2000 Ceija Stojka: Wie leben im Verborgenen. Erinnerung einer Rom-Zigeunerin, Wien 1988 Ludwig Laher: Herzfleischentartung, Innsbruck 2001 Peter G. Tropper (Hg.): Kirche im Gau, Klagenfurt 1995